Perspektiven zukunftsfähiger und krisenfester Städte nach der Corona-Pandemie

Dr. Carolin Baedeker
Anja Bierwirth
Dr. Anne Caplan
Hans Haake
Prof. Dr. Uwe Schneidewind
15.06.2020

Näher“–„Öffentlicher“–„Agiler“ Eckpfeiler einer resilienten „Post-Corona-Stadt“

Der Shutdown des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens; die Wiederentdeckung dessen, was wirklich "systemrelevant" ist; neue Formen des Gemeinsinns und der Generationen; eine ungeahnte Gestaltungskraft des Staates auf allen Ebenen: All das sind Phänomene der Corona-Krise, die unser Denken über Gesellschaft, Wirtschaft und Politik nach Corona prägen werden. Auch die Zukunft der Städte und ihrer Lebensbezüge zum Umland gilt es neu zu denken. Lokal und vor Ort werden die Konsequenzen aus der Krise plastisch und konkret.

Jetzt geht es darum, die Konturen einer krisenresilienten Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu entwerfen, die in der Lage sind, mit künftigen Pandemien und mit den weiteren großen gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts umzugehen.

Die „Post-Corona-Stadt“ wird „näher“, „öffentlicher“ und „agiler“ sein und kann Impulse für eine „Post-Corona- Welt“ geben – sozialer, grüner, vielfältiger.

Näher – das unmittelbare Umfeld zählt

  • Nachbarschaften und kommunalen Zusammenhalt stärken Die Vielschichtigkeit individueller Betroffenheit sowie die Möglichkeit sich solidarisch einzubringen, weckt aktuell das gesellschaftliche Bewusstsein für die Wichtigkeit der Gemeinwohlorientierung. Daher sind künftig auch die Erfahrungen und Expertise der Akteur*innen vor Ort in den Quartieren stärker in formale politische Prozesse einzubeziehen.

  • Lokale Wirtschaftskreisläufe ausbauen Für die Sicherung der Daseinsvorsorge in Krisenzeiten muss die Ausgestaltung von Wertschöpfungsketten künftig eine größere Rolle spielen. Dafür müssen politische Randbedingungen geschaffen werden, die die Marktteilnehmenden mit Angeboten hoher Resilienz in Krisenzeiten nicht benachteiligen.

  • Multifunktionale Innenstädte und Naherholung Die Innenstadt der Zukunft muss Arbeits-, Wohn-, Begegnungs-, Lern-, Spiel-, Betreuungs-, Logistik-, Gastronomie- und Einkaufsmöglichkeiten kombinieren. Eine Möglichkeit ist die multiple Nutzung von Flächen und Räumlichkeiten.

Öffentlicher – Kommunen, die der Gesundheit dienen

  • Daseinsvorsorge in kommunaler Hand: Wenn die Aufgaben von Kommunen in der Daseinsvorsorge wachsen, werden dafür finanzielle Handlungsspielräume benötigt. Dies hat unmittelbare Konsequenzen für die Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleiches – insbesondere für die große Zahl überschuldeter Kommunen.

  • Nachhaltige und gesunde Stadt zusammendenken: Die Gestaltung von Erholungsflächen, das Schaffen von „walkable cities“ dienen der Gesundheit der in Städten lebenden Menschen genauso wie dem Klimaschutz. Dies gilt insbesondere für die sozial-ökologisch sehr unterschiedlichen Lagen der Menschen. Gegen Wohnraumarmut, Energiearmut, Bildungsarmut, Mobilitätsarmut, Digitalarmut gilt es ausgleichende Funktionen in den Städten zu schaffen.

Agiler – Verwaltung, Digitalisierung und Mobilität kreativ angehen

  • Agile Stadtverwaltung: Die Erfahrung von (System-)Relevanz und hoher Selbstwirksamkeit können die externe Wertschätzung und Selbstwahrnehmung von Verwaltungen dauerhaft positiv verändern. Die Weiterentwicklung einer agilen Verwaltung muss sich aber auch in Strukturen, Instrumenten und der Weiterqualifizierung niederschlagen.

  • Digitale Potenziale in Bildung/Arbeiten/Verwaltung ausbauen: In der Krise werden Schwächen der Digitalisierung deutlich: Erst in Ansätzen auf digitales Lernen vorbereitete Schulen und Hochschulen, wenig Erfahrungen des lokalen Handels und der Gastronomie mit E-Commerce-Services, soziale Verwerfungen bei der Möglichkeit des Zugriffs auf digitale Angebote, Bandbreite- und Kapazitätsengpässe. Dieser Kompass für die „Smart City“ der Zukunft sollte die weiteren Digitalisierungsstrategien in Kommunen leiten.

  • Nachhaltige Mobilität stärken: Momentan erweist sich das Auto gegenüber dem ÖPNV als das gesundheitssichere Transportmittel. Wie kann das Vertrauen in öffentliche Verkehrsmittel und deren (Gesundheits-)Sicherheit gestärkt werden? Wie kann Mobilität digital unterstützt und die Schnittstellen zwischen einzelnen Mobilitätsangeboten geschlossen werden? Insbesondere Fuß- und Radverkehr müssen dabei noch stärker in den Fokus rücken.

  • Kreative Potentiale stärken: Der freischaffende Kultursektor ist von den ökonomischen Folgen der Corona-Bewältigung massiv betroffen. Hier gilt es nach der Krise auf Strukturen und Förderformen zu achten, die eine lebendige und vielfältige Kulturszene in den Städten ermöglichen. Kreativität ist eine der wichtigsten Ressourcen in der Krise neben der vielfach erlebten Solidarität.

  • Demokratische Prozesse etablieren: Die Widerbelebung der Stadtgestalt bietet unter einer rigiden Politik zur Bekämpfung der Pandemie, die seltene Möglichkeit der Diskussion über Gestaltungsmacht, Multi-Level-Governance und die Frage, an welchen Stellen Partizipation zukünftig gewünscht, sinnvoll und ausbaufähig ist.

  • Experimentiermut und die Rolle der Wissenschaft im kommunalen Kontext stärken: Gerade die Länder sind im Umgang mit der Corona-Krise erfolgreich, in denen Politik früh auf Wissenschaft hörte und wo offen über wissenschaftliche Erkenntnisse diskutiert wurde. Städte und Hochschulen sollten daraus lernen: Um Städte künftig krisenfester und transformationsfähiger zu machen, ist es sinnvoll, Wissenschaft intensiver in Veränderungsprozesse einzubeziehen und auch den Experimentiermut in Reallaboren weiter zu kultivieren.

Fazit: Wohlstand und Stadtentwicklung

In der Post-Corona Stadt muss es um neue Formen urbanen Wohlstandes gehen. Dieser manifestiert sich nicht nur in klassischen ökonomischen Wachstumsraten, sondern auch in einer Krisenfestigkeit – einer „urbanen Resilienz“. Diese gilt es nicht nur für Akutkrisen wie der Covid-19-Pandemie aufzubauen, sondern auch mit Blick auf langfristige Transformationsanforderungen. Es bedarf einer ressort-und parteiübergreifenden Politikgestaltung, die im Rahmen ökologischer Belastungsgrenzen eine ökonomische Stabilität sichert und dabei im Sinne der Gemeinwohlorientierung soziale Belange im Blick hat.

 

 

 

Dr. Carolin Baedeker

Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie
Carolin Baedeker ist stellvertretende Leiterin der Abteilung Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren des Wuppertal Instituts. In der Abteilung leitet...

Anja Bierwirth

Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie
Anja Bierwirth ist Leiterin des Forschungsbereichs „Stadtwandel“ in der Forschungsgruppe „Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik“ des Wuppertal...

Dr. Anne Caplan

Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie
Dr. Anne Caplan ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich Innovationslabore der der Abteilung Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren...

Hans Haake

Zentrum für Transformationsforschung und Nachhaltigkeit (transzent)
Hans Haake ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wuppertal Institut und Koordinator des Zentrums für Transformationsforschung und Nachhaltigkeit...

Prof. Dr. Uwe Schneidewind

Bergische Universität Wuppertal
Uwe Schneidewind ist Professor für Innovationsmanagement und Nachhaltigkeit an der Bergischen Universität Wuppertal. Von 2010 bis 2020 hat er nach...

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