Warum Planetary Health eine umfassendere und anhaltendere Erholung von der Pandemie fördern kann

Dr. Nicole de Paula
03.08.2020

Eine der wichtigsten Fragen, die nach der schmerzvollen Corona-Krise aufgekommen ist, lautet: Wie können wir die Wirtschaft dazu bringen, in einen grüne, gesunde und gerechte Erholung für Mensch und Planet zu investieren?

Aus der COVID-19-Pandemie lassen sich viele Lektionen lernen, obgleich sich die globalen Antworten darauf noch in der Anfangsphase befinden. Die entscheidendste liegt für mich in der unweigerlichen Tatsache, dass wir keine umfassende und anhaltende Erholung fördern können, ohne die grundlegenden Ursachen dieser Pandemie in Angriff zu nehmen. Während sich ein Großteil der Aufmerksamkeit auf einen lang erwarteten Impfstoff richtet, liegt auch ein großer Wert darin, ein Verständnis für langfristige und vorbeugende Maßnahmen zu entwickeln. In diesem Beitrag zeige ich den Ansatz von Planetary Health auf, welcher den Vorteil aufweist, „Multilösungen“ für verschiedene Krisen gleichzeitig anbieten zu können, wie z.B. solche, die in Verbindung mit Klimawandel, Biodiversität, Ernährungssystemen und sozialer Ungleichheit stehen.

Was Planetary Health ist und warum es wichtig ist

Planetary Health ist beides: ein wachsender Wissenschaftsbereich und eine gesellschaftliche Bewegung. Der Begriff gewann an Bedeutung, als die Rockefeller Foundation-Lancet Commission on planetary health den richtungsweisenden Bericht “Safeguarding human health in the Anthropocene epoch” (deutsch: Schutz der menschlichen Gesundheit im Anthropozän) veröffentlichte. Einfach ausgedrückt definiert diese Kommission planetarische Gesundheit als „den Gesundheitszustand der menschlichen Zivilisation und der Zustand der natürlichen Systeme, von denen sie abhängt“. Dieser Ansatz betont die Wichtigkeit einer ganzheitlichen Sichtweise auf die menschliche Gesundheit, die intrinsisch mit einem gesunden Ökosystem verbunden ist. Das sich schnell verändernde Themengebiet Planetary Health ist in vielerlei Hinsicht von Bedeutung. Ich werde drei Gründe dafür herausstellen.

Der erste und allerwichtigste Grund ist das Ziel, Krisen zu lösen, indem die grundlegenden Ursachen globaler Bedrohungen behoben werden, anstatt kostbare menschliche und finanzielle Ressourcen für die Krisenbewältigung zu verschwenden. Bei Planetary Health geht es darum, Krisensituationen hinter sich zu lassen und dabei sicherzustellen, dass niemand zurückgelassen wird - auch nicht auf lange Sicht. In diesem Zusammenhang haben die grundlegenden Ursachen dieser Pandemie viel damit zu tun, wie wir unsere Entwicklung wahrnehmen und welche Vorstellungen wir von Erfolg haben.

Hier schließt sich der zweite Grund an. Indem die Verantwortlichen die Bedeutung von Planetary Health anerkennen, verändern sie langfristig angelegte Entwicklungspolitik. Ein neuer Bericht Preventing the Next Pandemic: Zoonotic diseases and how to break the chain of transmission (deutsch: Die nächste Pandemie verhindern: Zoonosen und wie man die Übertragungsketten unterbricht) des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) und des unabhängigen Forschungsinstituts International Livestock Research Institute (ILRI) vom 6. Juli 2020 ermittelte sieben Trends , durch die das zunehmende Auftreten von zoonotischen Krankheiten, die wechselseitig zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können, vorangetrieben wird. Dazu gehören auch die wachsende Nachfrage nach tierischem Eiweiß, die Zunahme intensiver, nicht nachhaltiger Landwirtschaft, zunehmende Nutzung und Ausbeutung der Tier- und Pflanzenwelt sowie die Klimakrise. Daraus lässt sich schließen, dass Krisen, die die menschliche Gesundheit, das Klima und die Biodiversität betreffen, miteinander in Verbindung stehen. Tatsächlich sind sie untrennbar miteinander verbunden.

Der dritte Grund, warum Planetary Health von Bedeutung ist, besteht darin, dass es integrative Lösungen einfordert. Eine langfristige Lösung für diese Pandemie kann nicht ausschließlich von einem Impfstoff abhängen. Auch wenn dies ausgesprochen wünschenswert und notwendig ist, so werden wir nicht in der Lage sein, eine wahre Erholung von der Pandemie aufrechtzuerhalten, wenn wir Ungleichheiten ignorieren. So erklärte UNEP-Exekutivdirektorin Inger Andersen: „Pandemien sind verheerend für unser Leben und unsere Wirtschaft, und es sind - wie wir es in den letzten Monaten erleben mussten - die Ärmsten und die Verwundbarsten, die am meisten darunter leiden. So ist zum Beispiel der private Energieverbrauch während des Corona-Lockdown erheblich gestiegen. Aber es ist nicht unüblich, Lösungskonzepte aus der Sicht von Industriestaaten anzugehen. Im Globalen Süden mangelt es seit vielen Jahrzehnten an Zugang zu sauberen Energiedienstleistungen. Nahezu 80–90% aller Haushalte in Entwicklungsländern, insbesondere in Afrika südlich der Sahara, haben keinen Zugang zu sauberen Energiedienstleistungen zum Kochen und sind bei der Essenszubereitung auf umweltschädliche Brennstoffe (Biomasse und fossile Brennstoffe) und ineffiziente Technologien wie offenes Feuer angewiesen. Dem Bericht 2019 über die Ziele für nachhaltige Entwicklung zufolge sind schätzungsweise drei Milliarden Menschen von ineffizienten und stark umweltverschmutzenden Kochtechnologien und Brennstoffen abhängig. Dies führt jedes Jahr zu Millionen von vorzeitigen Todesfällen, zusätzlich zu anderen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Risiken und Belastungen.

Der Weg nach vorne: Soziales Empowerment stärkt die Resilienz für eine Welt im Wandel

Hier ist es meiner Meinung nach dringend erforderlich, ein sehr wichtiges, aber vernachlässigtes Thema, das während der Pandemie aufkam, auf die Agenda der Verantwortlichen zu setzen: die Geschlechterungleichheit. Informelle Gespräche und Social-Media-Postings waren anfänglich die Wege, über die Akademikerinnen während des Lockdown kommuniziert haben. Vor dem Hintergrund der erwarteten sozialen Normen übernahmen Frauen letztendlich verstärkt die Kinderbetreuung und wurden so im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen abgehängt. Verschiedene Studien haben nun bestätigt: Disziplinübergreifend ist die Rate der Veröffentlichungen von Frauen relativ zu der von Männern während der Pandemie gesunken. Es wurde herausgefunden, dass sogar in Haushalten, in denen beide Partner einen akademischen Abschluss haben, Frauen nachgewiesenermaßen mehr Hausarbeit erledigen als Männer, was auch für die Kinderbetreuung gilt. Wenn dies auf Akademiker zutrifft, was ein Luxusproblem darstellt, haben wir gute Gründe, uns um die negativen Auswirkungen der Geschlechterungleichheit in verletzlichen Regionen zu sorgen, wie beispielsweise in solchen, die von gescheiterten Staaten regiert werden.

Ein weiterer kürzlich erschienener UN-Bericht zeigt ebenfalls auf, wie dringend notwendig gendergerechte Maßnahmen sind, um die damit in Verbindung stehenden Krisen zu überwinden. Der Bericht “Gender, climate & security: sustaining inclusive peace on the frontlines of climate change” (deutsch: Geschlecht, Klima und Sicherheit: inklusiven Frieden im Kampf gegen den Klimawandel bewahren) zeigt auf, dass z.B. Maßnahmen im Bereich natürliche Ressourcen, Umwelt und Klimawandel die politische und wirtschaftliche Führungsrolle von Frauen fördern und ihren Beitrag zum Frieden stärken können. In diesem Bericht wird argumentiert, dass es zwingend wichtig sei anzuerkennen, dass Frieden und Sicherheit, Menschenrechte und Entwicklung in einem Zusammenhang stehen. Um diese Aussage zu unterstützen, haben wir in unserer neuesten Stellungnahme für mehr geschlechtergerechte Lösungen plädiert als Hebel zur Umsetzung des Übereinkommens von Paris und der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs). Der Grund dafür ist, dass geschlechtliche und soziale Ungleichheit die notwendige Fähigkeit von Gemeinden mindert, um mit klimaabhängigen Herausforderungen im Bereich Gesundheit und gefährlicher Umweltzerstörung zurechtzukommen.

Zu guter Letzt wird keine gesunde Erholung stattfinden, ohne dabei nicht auch den Blick auf soziale Gerechtigkeit zu lenken, die mit dem Planetary-Health-Ansatz inhärent verbunden ist. Soziale Gerechtigkeit und das Empowerment von verletzlichen sozialen Gruppen muss ein explizites Ziel bei der Entwicklung von Unterstützungsmaßnahmen sein, welche die wirtschaftlichen Möglichkeiten und Auswirkungen bewerten und neue Strategien für einen gerechten Übergang priorisieren. Der mögliche positive Aspekt dieser tragischen Pandemie ist, dass wir den Überfluss hinter uns lassen könnten und uns auf das konzentrieren, was für das menschliche Wohlergehen wirklich von Wichtigkeit ist. Auch wenn unser Leben auf Pause steht, so können wir trotzdem unser Denken vorantreiben, was eine Notwendigkeit darstellt, damit eine Vertrauenskrise überwunden und aus dieser Welt ein sicherer Planet und Ort für Menschen gemacht werden kann. Planetary Health ist der richtige Anfang, um genau das zu tun.

Dr. Nicole de Paula

Institute for Advanced Sustainability Studies e.V. (IASS)
Dr. Nicole de Paula ist Inhaberin des ersten Klaus Töpfer Sustainability Fellowship am Institute for Advanced Sustainability Studies e.V. (IASS) in...

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